Guglielmo Briscese, Nicola Lacetera, Mario Macis, Mirco Tonin
Aktuelle Umfragen aus Italien zeigen, dass Ankündigungen der Regierungen zum voraussichtlichen Ende des Lockdowns dessen Einhaltung durch die Bevölkerung maßgeblich beeinflussen können, insbesondere, wenn eine Lockdown-Verlängerung Individuen „negativ überrascht“.
Viele Länder weltweit haben Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung der COVID-19-Epidemie einzudämmen. In vielen Fällen legten die Behörden eine Frist für die Dauer der Sperrmaßnahmen fest, die aber schließlich verlängert wurde. Die italienische Regierung verlängerte den landesweiten Lockdown beispielsweise zweimal in einem Monat: zuerst vom 3. April auf den 13. April und dann schließlich bis zum 4. Mai. Regierungen können entscheiden, Sperrmaßnahmen so lange durchzuführen, wie sie es für notwendig erachten, um die Epidemie einzudämmen, oder sie können sie für einen vorab definierten Zeitraum verhängen. Dabei können sie sich entweder verpflichten, die Maßnahmen nicht über diese Frist hinaus zu verlängern, oder sich die Möglichkeit offen halten, sie zu verlängern, sofern die Entwicklung der Epidemie dies erforderlich macht. Diese Alternativen führen zu einigen bedeutenden Trade-offs.[ 1 ] In einer Studie, die auf Basis der Befragung unter einer repräsentativen Stichprobe von ItalienerInnen in verschiedenen Phasen der COVID-19-Epidemie durchgeführt wurde, analysierten wir die Beziehung zwischen den Erwartungen der Bevölkerung bezüglich der Dauer des Lockdowns und der Absicht, die Ausgangs- und Kontaktsperren einzuhalten.[ 2 ]
Die Einführung von Ausgangssperren ohne vorherige Festlegung ihres Endes – wie dies beispielsweise in China geschah, wo das Virus erstmals auftauchte und sich ausbreitete – könnte das Bewusstsein für den Ernst der Lage erhöhen und dadurch die Bevölkerung zu einer konsequenteren Einhaltung der Einschränkungen veranlassen. Ein Shutdown von Wirtschaft und Gesellschaft für einen unbestimmten Zeitraum kann jedoch hohe wirtschaftliche und psychologische Kosten verursachen[ 3 ] . In China setzten die Behörden die Regeln strikt durch. In demokratischen Ländern ist eine drakonische Umsetzung solcher Freiheitsbeschränkungen jedoch umstritten und kostspielig. Daher könnten derartige Einschränkungen eher akzeptiert werden, wenn sich die Regierung verpflichtet, diese Freiheiten innerhalb eines vorab definierten Datums wiederherzustellen. Solch befristete Maßnahmen könnten wiederum die Wahrnehmung des Ernstes der Lage negativ beeinflussen. Da zudem ungewiss ist, wie lange die Einschränkungen aufrechterhalten werden müssen, bis sie Auswirkungen auf die Eindämmung der Epidemie haben, können Verlängerungen nicht ausgeschlossen werden. Eine Verlängerung des Lockdowns nachdem davor die Erwartung geweckt wurde, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt endet, könnte sich jedoch negativ auf die Akzeptanz der Bevölkerung, das Vertrauen in die Behörden und letztlich die Einhaltung der Regeln auswirken.
Einhaltung der COVID-19-Ausgangsbeschränkungen und Erwartungen bezüglich ihrer Dauer
Wir haben drei Umfragen durchgeführt. Die erste Erhebungswelle fand zwischen 18. und 20. März statt, etwa zehn Tage nach Beginn des landesweiten Lockdown (als die Ansteckungen rapide anstiegen). Die zweite Umfrage führten wir von 8. bis 10. April durch, nach der ersten Verlängerung des Lockdown (direkt nach dem Peak der Infektionskurve), und die dritte zwischen 22. und 24. April, nach einer weiteren Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen bis zum 4. Mai (als die Infektionskurve bereits im Abstieg war).
Bei der ersten Befragungswelle gaben etwa 50 Prozent der Befragten an, alle empfohlenen Maßnahmen der Selbstisolierung eingehalten zu haben. In der letzten Befragung fiel der Anteil der “vollständig konformen” Personen auf 42 Prozent. In allen drei Durchgängen gaben jedoch etwa 80 Prozent der Befragten an, das Haus nur dann zu verlassen, wenn es unbedingt notwendig sei, hielten sich also an die Selbstisolierung.
In Abbildung 1 sind die Anteile der verschiedenen Erwartungen zur Verlängerung der Kontakt- und Ausgangssperren durch die Regierung nach Befragungswelle abgebildet.
Abbildung 1: Erwartete Dauer der Ausgangsbeschränkungen nach Befragungswelle
Zum Zeitpunkt der ersten Umfrage Mitte März rechneten nur sehr wenige Menschen damit, dass die Ausgangs- und Kontaktsperren zum angekündigten Termin am 3. April tatsächlich auslaufen würden. Auch bei der zweiten Umfrage Anfang April ging nur eine Minderheit der Befragten davon aus, dass die Maßnahmen zur verlängerten Frist (13. April) aufgehoben würden. In dieser zweiten Befragungswelle waren die Erwartungen dennoch optimistischer als in der ersten, da etwa 70 Prozent der Befragten damit rechneten, dass die Maßnahmen nur ein paar Wochen länger dauern würden – verglichen mit etwa 40 Prozent bei der Befragung im März. Die Befragten der dritten Erhebungswelle Ende April hingegen rechneten größtenteils entweder damit, dass der 4. Mai (das zum Zeitpunkt der Umfrage revidierte offizielle Datum) tatsächlich ein Ende der Beschränkungen bringen würde oder dass die Maßnahmen noch einige zusätzliche Wochen andauern würden. Das heißt, im Laufe der Zeit verringerte sich die Zeitspanne, die von den Befragten bezüglich der verbleibenden Isolation angegeben wurde, im Durchschnitt immer mehr.
Tiefere Bereitschaft der Bevölkerung, die Selbstisolierung einzuhalten, falls Lockdown länger dauert als erwartet
In unseren Erhebungen haben wir die Bereitschaft der Menschen abgefragt, sich an die Ausgangs- und Kontaktsperren zu halten, wenn die Einschränkungen (i) um einige Wochen, (ii) um einige Monate oder (iii) auf unbestimmte Zeit (“so lange sie für notwendig erachtet werden”) gegenüber des zum Zeitpunkt der jeweiligen Erhebungswelle geltenden Exits verlängert werden würden.
In allen drei Umfragen bekundeten die meisten Befragten die Absicht, “ihr gegenwärtiges Verhalten beizubehalten”, unabhängig von der Länge der hypothetischen Verlängerung. Die Bereitschaft zur Einhaltung hing jedoch davon ab, ob die Dauer der Verlängerung ihren Erwartungen entsprach oder nicht. Konkret waren Befragte, die positiv überrascht wären (d.h. Verlängerungen sind kürzer als erwartet) eher bereit, ihre Isolationsbemühungen zu verstärken, während Befragte, die negativ überrascht wären (d.h. Verlängerungen sind länger als erwartet), weniger Bereitschaft zeigten, ihre Eigenisolation aufrechtzuerhalten oder zu verstärken. Der Effekt negativer Überraschungen auf die Einhaltung der Einschränkungen war vor allem in der dritten Befragungswelle besonders stark (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Anteil der Befragten, die angaben, ihre Eigenisolation weniger konsequent einhalten zu wollen, nach (mangelnder) Übereinstimmung von Erwartungen und Szenarien für die Verlängerung
Unabhängig von den Erwartungen war der Anteil der Befragten, die Ende April weniger Bereitschaft zeigten, sich an die Einschränkungen zu halten, höher als in früheren Stadien der Umfrage. In allen Umfragewellen sank die Bereitschaft zur Einhaltung der Vorschriften insbesondere dann, wenn die Verlängerungen länger als erwartet dauerten. Die Ankündigung einer relativ kurzen Phase der Selbstisolierung zu Beginn des Lockdown kann zwar eine höhere Kooperationsbereitschaft mit sich bringen, die Kehrseite ist allerdings, dass die Bevölkerung dann tatsächlich von einer begrenzten Dauer ausgeht. Dies wiederum bringt einen Rückgang der Bereitschaft mit sich, die Maßnahmen bei wiederholten Verlängerungen tatsächlich zu befolgen. Am 26. April (nach Abschluss unserer dritten Erhebungswelle) kündigte der italienische Premierminister Giuseppe Conte an, dass viele der Maßnahmen, die am 4. Mai aufgehoben werden sollten, stattdessen um eine oder zwei weitere Wochen verlängert würden. Unserer Umfrage zufolge könnte diese Ankündigung bei über 40 Prozent der ItalienerInnen eine negative Überraschung ausgelöst haben (Abbildung 1). Die in Abbildung 2 dargestellten Ergebnisse deuten darauf hin, dass dies negative Folgen auf die Einhaltung der Vorschriften haben könnte.
Der langwierige Kampf gegen COVID-19 und die Wichtigkeit, Erwartungen zu lenken
Wir haben festgestellt, dass im Fall einer mangelnden Übereinstimmung der Erwartungen der Bevölkerung und dem Zeitpunkt des Exits aus dem Lockdown die Bereitschaft der Menschen deutlich zurückgeht, die Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit einzuhalten. Die Art und Weise, wie Behörden die Dauer von Einschränkungen ankündigen und verlängern, ist ein wichtiger politischer Hebel, der den Behörden zur Verfügung steht. In den drei Phasen unserer über fünf Wochen laufenden Umfrage haben wir festgestellt, dass die Verschiebung des Exits zu immer stärkeren Rückgängen der Bereitschaft der Italiener zur Einhaltung der sozialen Distanzierungsmaßnahmen geführt hat. Da unerwartet lange Verlängerungen also die Bereitschaft der Menschen zur Einhaltung der Regeln verringern können, sollten die Behörden dafür sorgen, dass sich die Öffentlichkeit realistische Erwartungen bilden kann und transparent kommuniziert wird, dass die Selbstisolierung wahrscheinlich ein langfristiges Unterfangen sein wird.
Der Umgang mit Erwartungen ist in der gegenwärtigen Situation besonders wichtig, da viele Länder beginnen, die Sperrmaßnahmen langsam aufzuheben und ihre Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. ExpertInnen für öffentliche Gesundheit haben darauf hingewiesen, dass sich die Situation in den meisten Ländern erst dann wieder völlig normalisieren könnte, wenn wirksame Medikamente und ein Impfstoff in großem Umfang zur Verfügung stehen. Insbesondere könnte es zu neuen COVID-19-Wellen kommen, was bedeutet, dass in Zukunft neuerliche Einschränkungen eingeführt werden könnten. Es ist unklar, wie die BürgerInnen auf die Aufforderung reagieren würden, ihre Freiheiten wieder aufzugeben. Unsere Studie zeigt, dass die Öffentlichkeit im Laufe der Zeit ungeduldig wurde, längere Isolationsperioden zu ertragen, und anfing, negativer auf Verlängerungen zu reagieren, wenn diese länger als erwartet ausfielen. Die politischen EntscheidungsträgerInnen sollten deshalb genau darauf achten, wie sie mit der Erwartungshaltung der Bevölkerung umgehen.
Published in Ökonomenstimme on 15 May 2020
1 Moser, C.A. and Yared, P., 2020. Pandemic Lockdown: The Role of Government Commitment (No. w27062). National Bureau of Economic Research.
2 Briscese, G., Lacetera, N., Macis, M. and Tonin, M., 2020. Compliance with COVID-19 Social-Distancing Measures in Italy: The Role of Expectations and Duration (No. w26916). National Bureau of Economic Research.
3 Brooks, S.K., Webster, R.K., Smith, L.E., Woodland, L., Wessely, S., Greenberg, N. and Rubin, G.J., 2020. The psychological impact of quarantine and how to reduce it: rapid review of the evidence. The Lancet.