Forschung – Ist es vorstellbar, dass jemandem die Nutzung einer Bibliothek verweigert wird, weil er oder sie schwarze Haare hat? Nein? Und wenn es um die Haut geht? Diese Art von Diskriminierung hat Uniprofessor Mirco Tonin in den USA nachgewiesen. Auch wir können daraus lernen.
„Was mich besonders beeindruckt hat, war das Ergebnis bei den Bibliotheken“, sagt Tonin. „Dass Anfragen um eine Mitgliedschaft je nach Hautfarbe des Antragstellers unterschiedlich behandelt werden, zeigt, dass Diskriminierungen in den alltäglichen Interaktionen zwischen ganz normalen Menschen auftreten können.“ Eine Erkenntnis, die auch die amerikanischen Bibliothekare aufgeschreckt hat: „Wir sind von einer Fachzeitschrift kontaktiert worden, die ihren Lesern die bibliotheksspezifischen Aspekte der Studie näherbringen möchte“, so der Bozner Professor.
Wellen schlägt Tonins Studie weit über die Kreise von Fachzeitschriften hinaus. So ist Anfang Oktober ein Artikel in der New York Times erschienen, sehr zur Freude der Wissenschaftler: „Unterschwellige Vorurteile offenzulegen, ist ein erster Schritt, um sie zu beseitigen“, so Tonin. Denn: „Der Gefühlslage, aus der heraus man diskriminiert, wird so eine rationale Überlegung entgegengestellt – und die sagt uns, dass es keinen Grund gibt, jemanden zu diskriminieren.“SWZ: Das klingt, als wären diskriminierende Handlungen keine überlegten, sondern fast schon Teil der menschlichen Natur …
Mirco Tonin: Für manch einen ist es in bestimmten Situationen sicher eine bewusste Entscheidung. Es gibt aber auch eine Grauzone unterschwelliger Vorurteile, die uns dazu bringt, jemanden unbewusst zu diskriminieren. Es ist ein zutiefst menschliches Verhalten, zwischen den Mitgliedern unseres „Stammes“ und Außenstehenden zu unterscheiden. Das geht so weit, dass sogar Mitglieder rein zufällig zusammengestellter Gruppen untereinander anders agieren als mit Mitgliedern anderer Gruppen.
Ist also zu erwarten, dass eine Untersuchung wie die Ihrige ähnliche Ergebnisse auch in Südtirol zutage fördern würde?
Um diese Frage beantworten zu können, müsste man eine solche Studie durchführen. Aber selbst auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben Bewerbungen mehr Chancen, wenn sie von Frau Bauer stammen und nicht von Frau Öztürk. Das hat Doris Weichselbaumer, eine Kollegin der Universität Linz, gezeigt.
Mit einer ähnlichen Studie wie der Ihrigen …
Die Kollegin hat fiktive Bewerbungsschreiben verfasst. Ihre „Frau Bauer“ ist in 18,8 Prozent aller Fälle von den Unternehmen kontaktiert worden, „Frau Öztürk“ nur in 13,5 Prozent. Und trug Frau Öztürk auf dem Bewerbungsfoto auch noch ein Kopftuch, sank die Antwortquote auf 4,2 Prozent. Ich nehme deshalb an, dass es auch in Südtirol solche Diskriminierungen gibt. Nach welchen Dimensionen sie sich allerdings richtet und wie schwerwiegend sie ist, müsste man erst untersuchen – etwas, was für mich wissenschaftlich durchaus interessant wäre.
Ist zu erwarten, dass das Phänomen der Zuwanderung das Diskriminierungsproblem noch verschärft?
Klar ist, dass die Migration die Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft wachsen lässt und damit auch das Diskriminierungspotenzial. Trotzdem muss man festhalten, dass die Unterscheidung zwischen „wir“ und „andere“ völlig willkürlich ist. Schließlich ist ein Mensch vieles gleichzeitig: Einwanderin, Frau, Krankenpflegerin, Bergbegeisterte.
Es geht also darum, den Menschen nicht eindimensional zu sehen?
Genau. Den Menschen auf eine der genannten Dimensionen zu reduzieren, heißt, die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben. Die Vielfalt jedes Individuums zu betonen, heißt dagegen zu unterstreichen, wie viele Dinge es gibt, die uns einen. Allerdings gibt es durchaus gesellschaftliche Akteure, die die Spaltung gezielt fördern, und das ist potenziell gefährlich.
Was können Unternehmen und Verwaltungen tun, um bewusste, vor allem aber unbewusste Diskriminierung zu verhindern?
Mit Grundsatzstatements kommt man hier aller Wahrscheinlichkeit nach nicht weiter. Vielmehr geht es darum, in der täglichen Praxis ein Verhalten zu implementieren, das frei von Vorurteilen ist. Das ist übrigens nicht nur eine ethische Maxime. Vielmehr bringen Diskriminierungen auch hohe gesellschaftliche Kosten mit sich.
Inwiefern ist Diskriminierung ein Kostenfaktor?
Nehmen Sie ein Unternehmen als Beispiel, das Frauen von Führungspositionen ausschließt. Ein solches Unternehmen enthält sich selbst und der Gesellschaft eine ganze Menge Talent und Können vor. Darüber hinaus zeigen Medizin und Psychologie, dass sich auch kleine Akte der Diskriminierung über die Zeit negativ auf den Geistes- und Gesundheitszustand des Opfers auswirken. Es geht also nicht nur um Gerechtigkeit, sondern auch um wirtschaftliche Effizienz.
Kann uns die moderne Technik beim Abbau von Diskriminierungen helfen? Man könnte sich etwa ein Tool vorstellen, das Anfragen automatisiert beantwortet.
Das könnte eine Möglichkeit sein, allerdings würde ein solches Tool nur einen kleinen Teil des Problems lösen. Zudem lernen die Algorithmen solcher Systeme von menschlichen Entscheidungen. Auch die Technik ist also nicht frei von diskriminierendem Verhalten.